Oft bietet das Lee die kräftigsten thermischen Aufwinde. Genauso oft bilden sich im Lee gefährliche Rotoren und harte Turbulenzen. Wann also ist ein Flug ins Lee sicher?

«Im Lee habe ich einen super Schlauch ausgegraben!» Ein Hängegleiterpilot, der das erzählt, ist entweder eine ganz wilde Natur oder ein Superprofi, der sein Fluggerät auch unter widrigsten Bedingungen sicher in der Hand hat. Der Begriff Lee bedeutet doch harte Turbulenzen, gefährliche Rotoren, Abwind und ganz allgemein Absturzgefahr. Aber ist das wirklich so? Sind das nicht eher Piloten, die genau abschätzen können, wann es gefährlich ist, im Lee zu fliegen, und wann die beste Thermik dort zu finden ist? In gewissen Situationen merkt man gar nicht, dass man im Lee fliegt. Manchmal ist gar das Lee der sicherste Ort zum Fliegen.

Jede Thermik beginnt im Lee
Thermik entsteht, wenn die Luft vom Boden her erwärmt wird. Es bildet sich eine Schicht heisser Luft, die mit weiterer Erwärmung dicker und dicker wird. Irgendwann und irgendwo löst sich diese heisse Luft vom Boden ab, durchstösst den über ihr liegenden Mantel aus kalter Luft und steigt als Thermikblase in die Höhe. Wind und die durch die Bodenreibung hervorgerufene Turbulenz verhindern allerdings, dass sich eine dicke Heissluftschicht bilden kann. Die Turbulenz mischt die erwärmte Luft schon frühzeitig in die Höhe. Nur an windgeschützten Orten kann sich eine genügend dicke Heissluftschicht bilden. Schutz vor dem Wind bietet das Lee von Hindernissen, wie zum Beispiel ein Haus oder ein Hügel. Für eine Weile bleibt die Luft hinter dem Hindernis ruhig und erwärmt sich stetig, bis eine Störung sie vom Boden löst. Der darüber blasende Wind trägt sie dann als Thermik fort. Der gleiche Prozess spielt sich in kleineren als auch in grösseren Dimensionen ab. So können sich thermische Aufwinde hinter Hindernissen wie Häuser oder Hügel bilden. Selbst hinter solchen Aufwinden entsteht ein Windschatten, wo sich neue Aufwinde, aber auch Rotoren bilden können. Für den Thermikpiloten ist das Lee sowohl Freund als auch Gefahr.

Die Grösse ist entscheidend
Am günstigsten ist es, über einem Lee, also über einem Hindernis Thermik zu suchen. Doch das gelingt nicht immer. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wann es sicher ist im Lee zu fliegen und wann nicht. Als erste und wichtigste Regel gilt: Im Zweifel nie!! Doch die Grundfrage löst sie nicht. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Verhältnisse im Lee. Ein wichtiger Faktor ist die Grösse des Hindernisses. Je grösser der Hügel oder der Berg ist, umso mehr Schutz bietet er. Im Jura zum Beispiel kann man praktisch nie im Lee fliegen. Auf Teneriffa hingegen wird fast ausschliesslich im Lee des 3000 m hohen Mount Teide, respektive auf der Seite von Taucho, geflogen. Selbst wenn der vorherrschende Wind 50 km/h übersteigt, kann im Lee geflogen werden, allerdings sind dann kräftige Leethermik und starke Winde zu erwarten, falls man die geschützte Zone verlässt. Auch in den Alpentälern ist es mancherorts möglich, geschützt vor kräftigen Winden zu fliegen.

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Abb. 1: Thermik entsteht im Lee.
 

 
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Abb. 2: Leethermik.
 

Windstärke
Natürlich ist das Fliegen im Lee umso weniger gefährlich, je schwächer der Wind bläst. Die Windstärke ist eines der wichtigsten Kriterien. Bei einem Wind von 5 km/h sollte ein Flug ins Lee keine Probleme bereiten. Übersteigt die Windstärke aber 20 km/h, ist das Lee extrem riskant und gefährlich.

Erwärmung durch die Sonne
Eine kräftige Erwärmung der Leeseite macht die Sache einiges sicherer. Das heisst, auch wenn die Luft im Lee turbulent ist, heizt sie die Sonne auf, und die Luft fliesst grundsätzlich aufwärts. Auf dem Niederhorn oberhalb des Thunersees kann trotz leichtem Nordwind auf der Südseite Richtung Interlaken geflogen werden. Auch auf Teneriffa ist das der Fall, wo die Seite von Taucho nach Südwest gegen die Nachmittagssonne gerichtet ist. Andere Fluggebiete wie zum Beispiel Monaco profitieren von einem ähnlich thermisch gestützten Schutz.

Luftstabilität und Form
Die Stabilität der Luft und die Form des Hügels sind weitere wichtige Faktoren. Je labiler die Luft geschichtet ist, umso eher fliesst sie über einen Hügel hinüber. Bei einem kegelförmigen Berg ist der Weg rundherum energetisch gesehen bequemer. Erstreckt sich der Berg aber über mehrere Kilometer quer zur Windrichtung, so bleibt nur der Weg über den Hügel. Beide Wege, hinüber oder rundherum, beeinflussen die Verhältnisse im Lee entscheidend.
Ist die Luft gezwungen über den Hügel zu fliessen, bestimmen die Stabilität der Schichtung und die Sonneneinstrahlung in die Leeseite die dortigen Verhältnisse. Bei stabiler Schichtung sinkt die Luft sofort hinter dem Hügel wieder ab. Die Leerotoren vermischen sich mit den Thermikblasen und bilden einen extrem turbulenten Mix. Bei labiler Schichtung sinkt die Luft nicht sofort wieder ab, sondern steigt noch etwas weiter an, besonders wenn die Strömung bei einem scharfen Grat abreisst. Im windgeschützten Lee können sich kräftige thermische Aufwinde entwickeln. Diese durchstossen die Strömung auf der Höhe des Grates und werden von ihr mehr und mehr Richtung Lee versetzt.
Bei kegelförmigen Bergen neigt die Luft eher dazu, rundherum zu fliessen. Auf der Luvseite teilt sich die Strömung auf und bildet eine Divergenzzone. Auf der Leeseite, wo die Strömung wieder zusammenfliesst, formt sich eine Konvergenzzone, welche die Bildung von Aufwinden unterstützt, besonders wenn die Luft thermisch aktiv ist. Fehlt die thermische Aktivität, dann sind genauso starke Ab- wie Aufwinde zu erwarten.
Die kräftigsten Turbulenzen sind gewöhnlich am Rand des Lees anzutreffen. Tief drin besteht oft ein vollständiger Schutz. In der Randzone trifft man auf die härtesten Turbulenzen, zum Beispiel in einer Thermik knapp hinter einer Krete. Wer einen Flug ins Lee wagt, sollte also ganz ins Lee, in den geschützten Bereich hineinfliegen. Es ist gefährlicher, nur die Hand hineinzustrecken und in der Randzone zu fliegen.

Fazit
Vor einem Flug ins Lee sollten die folgenden Faktoren überprüft werden:
1. Windstärke, 2. Grösse des Hindernisses, des Berges, 3. Stabilität der Luft, 4. Sonneneinstrahlung auf der Leeseite, 5. Form des Berges.
Für den Entscheid gibt es keine klaren und festen Regeln. Jeder muss entsprechend seiner Erfahrung und seinem Können selbst entscheiden, ob er einen Flug ins Lee wagen darf und ob er mit den zu erwartenden Turbulenzen umgehen kann.
Fliegen im Lee sollte unbedingt den Cracks vorenthalten bleiben! Bei gut abschätzbaren Bedingungen kann unter Anleitung von sehr erfahrenen Piloten ein Flug gewagt werden. Alle möglichen Vorsichtsmassnahmen sollten unbedingt vor einem Flug ins Lee beachtet werden. Und denkt daran: Im Zweifel nie!

(Quelle: Artikel aus SHV-Glider)